"Wir allein entscheiden, was wir mit der Zeit anfangen, die uns gegeben ist." - Elbenbrosche in Edoras, eigenes Foto, 2005

Dienstag, 22. September 2009, 22:48

Neue Begründung für Wehrdienstverweigerung

In der aktuell geltenden Gesetzeslage gibt es eigentlich nur einen einzigen Grund, die Einberufung zum Wehrdienst wirksam zu verweigern. Artikel 4, Absatz 3, Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland legt fest: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Für eine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer muß der Antragsteller glaubhaft darlegen, dass er irreparablen seelischen Schaden erleiden und die Persönlichkeit zerbrechen würde, sollte er als Soldat einen Menschen töten müssen.

Nach mir vorliegenden Informationen soll es daneben allerdings in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts auch die Praxis gegeben haben, Personen nicht zum Kriegsdienst heranzuziehen, wenn diese zuvor glaubhaft ihre ausdrückliche Ablehnung unserer sogenannten "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" dargelegt hatten. Übrigens werden auch anerkannte Zivildienstleistende gemäß § 26 Zivildienstgesetz ausdrücklich zur Achtung der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" verpflichtet. Offenbar legte man keinen Wert darauf, diese Grundordnung von Leuten beschützen zu lassen, die sie gar nicht beschützen wollen.

Angesichts der in den letzten Jahren immer wieder aufkommenden Forderungen nach verfassungsrechtlich zumindest höchst bedenklichen Einsätzen der Bundeswehr im Inneren sollte es meiner Ansicht nach künftig einen weiteren Verweigerungsgrund geben: Der Antragsteller sollte den Wehrdienst verweigern können, wenn er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, als Soldat potentiell im eigenen Lande gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung eingesetzt werden zu können.

Man braucht sich nur einmal anzusehen, wie bereits heute und in der Vergangenheit die Polizei gegen friedliche Demonstranten oder sonstige harmlose Bürger vorging und immer noch vorgeht, die lediglich ihre Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und freie Entfaltung der Persönlichkeit wahrzunehmen versuchen. Mir persönlich sind durchaus noch Kolonnen von gepanzerten Wasserwerfern in Erinnerung, die optisch schon sehr stark an die berühmten Bilder aus China vom Platz des Himmlischen Friedens erinnern. Und zwar nicht etwa von irgendwelchen Anti-Terror-Einsätzen, sondern von eigentlich friedlichen Demonstrationen oder sogar von Fußballspielen.

So hatte beispielsweise die Lübecker Polizei vor Jahren einmal mitten im tiefsten Winter bei einem Fußballspiel ein halbes Dutzend Wasserwerfer aufgefahren, obwohl beim betreffenden Spiel nicht die geringste Bedrohungslage bestand. Wäre es jedoch zu einem Einsatz gekommen, so hätte für harmlose Zivilisten jederzeit Lebensgefahr bestanden, nicht nur durch die gepanzerten Fahrzeuge selbst, sondern auch durch Erfrieren infolge wahllosen Beschusses mit kaltem Wasser - bei minus 7 Grad Celsius. Zum Glück mußten die Wasserwerfer in der Halbzeitpause vom Stadion abgezogen werden, da offenbar die Wassertanks eingefroren waren.

Dies mag auf den ersten Blick zwar vielleicht amüsant klingen. Aber denken wir dieses Szenario doch einmal weiter! Wenn ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren erst einmal möglich ist, wie lange wird es dann noch dauern, bis unsere paranoiden Politiker, die schon in dem Auftauchen der falschen Fähnchen bei ihren Wahlkampfveranstaltungen eine Bedrohung für die innere Sicherheit sehen, lauthals fordern, zum Schutz vor angeblich möglichen Ausschreitungen die Bundeswehr zur Bewachung der Städte und zum Kontrollieren von Demonstrationen einzusetzen?

Von diesem Punkt aus ist es nicht mehr weit zu Panzern vor dem Parlament und zu schwerbewaffneten Truppen, die öffentliche Demonstrationen begleiten und die Bürger, die ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ausüben wollen, durch ihre Präsenz einschüchtern. Und wer weiß, wann in diesem Fall der erste überforderte Kommandant durchdreht und die ersten toten Demonstranten auf den Straßen liegen? In unserem "Rechtsstaat" unmöglich? Pustekuchen! Etwas ganz Ähnliches hatten wir schließlich im Jahre 1967 schon einmal...

Während sich also unsere Politiker nicht nur in puncto Zensur, sondern auch in puncto Angst vor dem eigenen Volke unseren hochgeschätzten chinesischen Freunden und Geschäftspartnern mit großen Schritten annähern, wird es meines Erachtens Zeit, der veränderten Sachlage durch eine Änderung der Praxis der Wehrdienstverweigerung Rechnung zu tragen, solange es noch so etwas wie eine "freiheitlich-demokratische Grundordnung" gibt, die man schützen kann. Soldaten oder Wehrpflichtige müssen das Recht haben, den Dienst in der Bundeswehr zu verweigern, wenn zu befürchten steht, daß diese im Inland gegen die im Grundgesetz festgelegten Grundrechte eingesetzt werden könnte.

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