"Wir allein entscheiden, was wir mit der Zeit anfangen, die uns gegeben ist." - Elbenbrosche in Edoras, eigenes Foto, 2005

Mittwoch, 10. Juli 2013, 10:00

Musik mit Hörnern drin

Jedes Jahr Ende Juni, kurz nach der Sommersonnenwende, wird ein sonst ruhiges und friedliches kleines Dorf im südwestlichen Schleswig-Holstein, ca. 20 Kilometer entfernt von Itzehoe, für zwei Tage zum Schauplatz eines in der deutschen Heavy-Metal-Szene weithin bekannten Musikfestivals. Aus ganz Deutschland, aber auch aus angrenzenden Staaten reisen Fans an, um hier bekannte Bands aus dem In- und Ausland (insbesondere aus Skandinavien) live zu erleben.

Die Rede ist hier natürlich nicht vom Wacken Open Air, sondern vom Hörnerfest, das seit 2006 auf einem ehemaligen Bauernhof bei Brande-Hörnerkirchen veranstaltet wird. Ganz im Gegensatz zu Wacken, das zum Leidwesen vieler Fans mittlerweile zu einer konsequent durchkommerzialisierten Veranstaltung mit Eintrittspreisen im dreistelligen Bereich verkommen ist, bei der zunehmend auch Mainstream-Bands auftreten, die mit dem ursprünglichen Geist des Festivals zum Teil nur noch wenig am Hut haben, bietet das Hörnerfest nach wie vor eine eher familiäre Atmosphäre, die dem Einzelnen nicht das Gefühl gibt, in einem großen Massenbetrieb unterzugehen. So dauert es hier vom Ende des Zeltplatzes bis zur Bühne im Idealfall nur fünf Minuten, während man dafür in Wacken mittlerweile bis zu einer Dreiviertelstunde einplanen muß.

Ganz im Gegensatz zu Wacken muß man sein Ticket für das Hörnerfest auch nicht fast ein Jahr im Voraus buchen. Hier ist es noch möglich, sich auf den letzten Drücker kurzfristig für einen Festivalbesuch zu entscheiden. Was mir persönlich in diesem Jahr wegen anderer Unternehmungen, die eine frühzeitige Planung unmöglich machten, sehr zugute kam. Lediglich die legendären Original-Tickets aus echtem Leder werden in den letzten Tagen vor dem Festival nicht mehr verschickt, so daß ich diesmal leider mit einem schnöden Print-at-Home-Ticket vorlieb nehmen mußte.

Aufgrund der durchwachsenen Wettervorhersage (und weil ich dieses Mal allein zum Festival unterwegs war) hatte ich dieses Jahr darauf verzichtet, mein Zelt mitzunehmen, und mir statt dessen einige Schafsfelle und meinen Schlafsack ins Auto gepackt. Das Auto erwies sich für mich alleine dann auch als groß genug zum Schlafen, und vor allem konnte ich mir die ganze Arbeit des Auf- und Abbauens komplett ersparen. Beim letzten Besuch vor zwei Jahren hatten wir in einem selbsternannten "Wiki-Hotel" übernachtet, das sich vor Ort leider als ziemlich schlecht organisiertes Pseudo-Mittelalter-Zeltlager herausgestellt hatte. Es wundert mich daher nicht, daß diese Einrichtung mittlerweile nicht mehr existiert.

Im Gegensatz zur gänzlich unproblematischen Kartenbestellung gestaltete sich meine Anfahrt leider unerwartet zäh und langwierig. Zunächst überraschte mich die A2 östlich von Bad Eilsen mit einer Vollsperrung, da ein Betonlaster die Mittelleitplanke durchbrochen und seine Ladung auf beiden Fahrbahnen verteilt hatte. Hätte ich mich auf die natürlich völlig überlastete, offizielle Umleitung verlassen, wäre ich wohl erst gegen Abend in Brande-Hörnerkirchen angekommen. Mit GPS-Unterstützung über kleinste Nebenstraßen fahrend, verlor ich jedoch nur etwa eine Stunde. Kurz vor dem Ziel der Reise durfte ich dann noch ein weiteres Musterbeispiel idiotischer deutscher Verkehrsleitkunst erleben: Die Autobahn-Ausfahrt nach Brande-Hörnerkirchen war wegen einer Baustelle gesperrt. Anstatt den umzuleitenden Verkehr eine Ausfahrt vorher abzuleiten, wurde diese Sperrung jedoch erst wenige hundert Meter vorher angekündigt und der gesamte Verkehr sieben Kilometer weit durch die einspurige Baustelle geleitet. Wer keine Staus hat, der macht sich welche...

Aufgrund dieser Probleme bei der Anfahrt verpaßte ich den Auftritt der ersten Band des Festivals, Elmsfeuer, leider vollständig und traf erst zu Beginn des Auftrittes von Ragnaröek am (obendrein schlecht ausgeschilderten) Festival-Gelände ein. Zum Glück gestaltete sich der Checkin extrem einfach. Man drückte mir eine blaue Mülltüte in die Hand, kassierte dafür 5 Euro Pfand (sichtlich amüsiert über die Fragezeichen in meinen Augen), und das war es dann auch schon. Kurz darauf war es dann an mir, die Einweiser mit dem Hinweis zu irritieren, daß ich gar kein Zelt dabei hätte. So bekam ich schließlich einen freien Platz irgendwo in der Mitte des Zeltlagers zugewiesen und mußte nicht bis zum äußersten Ende des als Zeltplatz zweckentfremdeten Ackers weiterfahren, was mir durchaus recht war.

Da sich Ragnaröek für meine Ohren von Weitem genau danach anhörte (nämlich nach einem Weltuntergang mit einem überflüssigen "e" drin), beschloß ich, mir erst den dem Fest angeschlossenen mittelalterlichen Markt anzusehen. Auch dies ist eine Besonderheit des Hörnerfestes, die es von manchem anderen Festival unterscheidet: Etwa ein Viertel des Zeltplatzes ist mit Mittelalter-Zelten besetzt, und neben dem eigentlichen Festgelände gibt es einen qualitativ ansprechenden Mittelaltermarkt.

Gleich einer der ersten Stände (vom Zeltlager aus gesehen) verkaufte eine ansehnliche Vielfalt an Musikinstrumenten, allerdings rein akustische und nicht etwa E-Gitarren oder ähnliches elektronisches Equipment. Wenn ich mich recht erinnere, kannte ich diesen Stand bereits aus dem letzten Jahr vom Festival Mediaval in Selb. Da ich allerdings gerade weder Bedarf an Trommeln noch an Flöten hatte und auch für ein Windspiel bislang (noch) keinen Platz habe, hielt ich mich hier diesmal nicht allzu lange auf und begab mich zu den benachbarten Ständen für Räucherwerk, Gewürze und Seifen.

Welchen Umsatz sich ein Seifenstand bei einem Festival erhoffen kann, wo es außerhalb der gerade einmal zwei zahlungspflichtigen Toiletten nur Dixi-Klos und sonst keine sanitären Anlagen gibt (mit Ausnahme einer Art umgebauter Viehtränke mit vier Wasserhähnen an einem improvisiert verlegten Gartenschlauch, die man aber kaum findet, wenn man nicht schon vorher weiß, wo sie steht), will ich an dieser Stelle einmal bewußt dahingestellt lassen.

Mit den mannigfaltigen Räucherstäbchen könnte man sich ja wenigstens noch den unvermeidlichen Gestank nach ungewaschenen Menschen und verschüttetem Bier (wenn nicht noch nach Schlimmerem) im Zeltlager etwas angenehmer gestalten. Jedoch schien auch das Gewürzgeschäft trotz vieler interessanter Mischungen nicht besonders gut zu laufen. Wer schleppt denn auch schon auf einem Metal-Festival Glasröhrchen mit japanischen Gewürzmischungen mit sich herum? In den stets gut kontrollierten Festival-Bereich hätte man diese vermutlich auch gar nicht mit hineinnehmen dürfen. Schade eigentlich, denn dieser Stand schien mir wirklich gut sortiert zu sein.

Den Haupt-Verkaufsartikel und damit auch den wichtigsten Umsatzbringer bilden auf einem Festival wie dem Hörnerfest - wie könnte es bei dem Namen auch anders sein - natürlich Trinkhörner. Zu den altbekannten Typen mit mehr oder weniger rundem Querschnitt sind während der letzten Jahre allerdings mehr und mehr auch exotischere Hörner von Widdern und irgendwelchen afrikanischen Gazellen hinzugekommen, die im europäischen Mittelalter sicherlich niemand gekannt hätte.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Märkten und Festivals werden auf dem Hörnerfest auch ganze Büffelschädel feilgeboten, die allerdings mit ungefähr 100 Euro doch in einer ziemlich stattlichen Preisklasse liegen. Außerdem gibt es gleich mehrere konkurrierende Hornschleifereien, dazu Wikinger-Schmuck, der zumindest zum Teil aus Hörnern hergestellt wird. Und natürlich darf auch der Met zum Füllen der Trinkhörner nicht fehlen, während das benachbarte "Scorpions Inn" sich mehr auf Tee und Kaffee verlegt hat und sein Hauptgeschäft gänzlich unmittelalterlich als Shisha-Bar macht.

Da Ragnaröek mittlerweile fertig ist und sich die nächste Band bereit macht, wird es für mich so langsam Zeit, mir endlich mein Festival-Band zu besorgen. Das Online-Ticket sorgt dabei zunächst für einige Verwirrung, außerdem sind offenbar kurzzeitig die Bändchen ausgegangen, aber nach etwas Wartezeit bin ich nun endlich auch offizieller Festival-Besucher und darf mich der ersten von geschätzt zwanzig bis dreißig Leibesvisitationen an diesem Wochenende unterziehen.

Am Stein neben dem Eingang, der passenderweise die Hausnummer 13 trägt, hat sich auch bereits ein stattlicher Haufen von leeren Bierflaschen und Dosen gebildet. Irgendwann im Laufe des Festivals wird jemand eine Art hochwandigen Bollerwagen improvisieren, der an dieser Stelle abgestellt wird und, mit einem entsprechenden Zettel versehen, fortan als mobiler Eimer für leere Getränkebehälter dient. Hier wird eben noch improvisiert, es muß nicht immer alles hundertprozentig durchgeplant sein, und man ist noch in der Lage, selbst zu denken und selbst zu handeln und auf die ungeplant hereinbrechende Realität zu reagieren. Und noch wichtiger: Man tut es auch und redet nicht nur darüber, was irgendjemand jetzt vielleicht mal tun sollte. Danke!

Als meine erste Band des Festivals bekomme ich jetzt Mr. Hurley und die Pulveraffen zu sehen. Diese mir zuvor noch unbekannte Gruppe macht eine Art Piraten-Folk-Rock, den sie selbst "Grog'n'Roll" getauft haben, und tritt in Piraten-Kostümen auf. Da es Bands mit möchtegern-piratiger Ausrichtung mittlerweile wie Sand am Meer gibt, von denen jedoch die Mehrzahl leider nur wenig zu überzeugen vermag, befürchtete ich (auch angesichts des im ersten Moment albern klingenden Namens) schon das Schlimmste.

Aber ich habe mich getäuscht und muß daher an dieser Stelle Abbitte leisten. Mr. Hurley und die Pulveraffen machen richtige Gute-Laune-Musik und stellen dabei sowohl musikalisches Talent als auch Kreativität in ihren Texten ("Küss mich, ich hab' Skorbut!") unter Beweis. Zu einer großen Band fehlt es vielleicht noch etwas an Professionalität im Auftreten, aber vielleicht ist es letzten Endes auch besser, wenn sie einfach nur sie selbst bleiben. Ich würde sie jedenfalls jederzeit gerne wieder hören. Falls übrigens irgendjemand wissen möchte, was Pulveraffen sind bzw. waren, kann er oder sie dies gerne hier nachlesen. Wieder was gelernt!

Während dieses Auftrittes fällt mir übrigens auch erstmalig eine weitere Besonderheit des Hörnerfestes auf: Bei anderen Festivals gibt es stets eine betont professionell auftretende Security, die sich in irgendwelchen schwarzen Phantasie-Kampfanzügen vor der Bühne aufbaut und zumeist aus unsympathischen Bodybuildern im bayrischen Bauernschrank-Format besteht, zwei Meter hoch, zwei Meter breit und einen Meter tief. Und fast immer gibt es irgendwelchen Ärger.

Hier stehen ein paar auf den ersten Blick harmlos und bräsig wirkende Norddeutsche in Schlabber-Klamotten vor der Bühne - und es funktioniert einfach. Etwas unheimlich ist mir nur ein Typ, der aussieht wie der schielende kleine Bruder von Harry Potter. Mit seinem Silberblick scheint er das gesamte Festgelände gleichzeitig im Auge zu haben, einschließlich des Blickes um jedwede Ecke. Als er später zur Abwechslung an der Einlaßkontrolle steht, trägt er dort als Einziger weiße Gummihandschuhe. Ich wähle vorsichtshalber dann doch lieber den anderen Eingang. Später beim Vogelfrey-Konzert zeigt sich, daß Harry Potter gar nicht so harmlos ist, wie er aussieht, denn er fängt ganz alleine einen stämmigen, mindestens 100 Kilo schweren Metal-Bären auf, der beim Crowdsurfing in hohem Bogen vor der Bühne abgeladen wird.

Bis zum Auftritt der nächsten Band bleibt mir gerade noch genug Zeit, kurz den einzigen Toilettenwagen im Innenbereich des Festival-Geländes aufzusuchen, der ausnahmsweise gerade einmal nicht von einer emsig abkassierenden Reinigungsfachkraft belagert wird. Ich finde, auch wenn der Eintritt hier noch nicht ganz so viel kostet wie in Wacken, dürfte die Toilettenbenutzung ruhig inklusive sein. Wäre sicher auch hygienischer. Aber halt - da fehlt doch was...?!

Als leicht überfordert erweist sich auch der Getränkeausschank. Als ich zwei Kirschbier bestelle und diese in mein Trinkhorn umfülle, kassiert die ansonsten sehr sympathische junge Dame statt dessen zu meinen Ungunsten zwei Met ab, und ich bekomme erst auf Nachfrage mein korrektes Wechselgeld herausgegeben. Und dabei hat das Festival doch gerade erst angefangen! Wie soll das nur weitergehen, wenn das Gelände abends erst richtig voll ist?! Doch anscheinend spielt sich das Ganze später noch ein, denn von ernsthaften Beschwerden ist mir jedenfalls nichts zu Ohren gekommen. Nehmen wir diesen kleinen Fauxpas also mit einem Lächeln. Genau so, wie mich auch die Schankmaid ganz lieb angelächelt hat. Ihren Namen habe ich mir übrigens gemerkt... ;-)

Nach diesem kleinen Intermezzo folgt nun als nächster Programmpunkt der Auftritt der Dudelzwerge, die auf der großen Festival-Bühne ihr Mittelalter-Rock-Programm präsentieren. Ganz nebenbei fungieren sie mit ihrem Akustik-Programm auf diesem Festival aber auch noch als Marktband, die mehrmals zwischen den Auftritten anderer Bands das Publikum auf der kleineren Marktbühne bei Laune hält und obendrein auch die abendlichen Feuershows musikalisch begleitet.

Die Dudelzwerge haben (nur für das Rock-Programm) ihren neuen Sänger mitgebracht, der sich eigentlich ganz wacker schlägt, auch wenn ich mich an ihn erst einmal gewöhnen muß. Naturgemäß liegt der Schwerpunkt auf Liedern von der letzten CD "Ernte", die mittlerweile auch schon zwei Jahre auf dem Buckel hat. Neben Stücken wie "Riemenschneider" oder "Galgengang" bleibt dabei vor allem "Danke!" im Gedächtnis, das laut den Dudelzwergen eine "Danksagung" an gewisse etablierte Bands darstellt, die ihnen in ihrer Frühzeit herablassend mitgeteilt hätten, sie sollten doch bitte erst einmal acht Jahre lang "vor dem Burgtor spielen". Mich würde ja wirklich nur zu sehr interessieren, um wen es sich dabei gehandelt hat. Mir fallen dafür spontan einige Kandidaten ein. Aber jetzt spielen sie ja offensichtlich im Konzert der Großen mit, also scheint das Burgtor sie wohl nicht allzu lange aufgehalten zu haben...

So langsam nimmt das Festival richtig Fahrt auf. Als nächste Gruppe spielt Vogelfrey. Beim Soundcheck treten sie erst noch ziemlich unspektakulär in ihren Alltags-Schlabberklamotten in Erscheinung, um sich dann quasi im letzten Moment nochmal umzuziehen und - im Wesentlichen in Bühnen-Schlabberklamotten zurückzukehren, einmal abgesehen von der Dame mit dem modernen elektronischen Cello, das irgendwie wie ein hohler Vogel wirkt und optisch nicht so ganz zum Gesamteindruck der Band paßt.

Sei's drum - das Publikum geht jedenfalls ganz ordentlich mit, und Vogelfrey scheint offenbar so einige Fans mobilisiert zu haben. Auch bei ihrem Auftritt spielt das letzte Album "Zwölf Schritte zum Strick" die tragende Rolle, wenngleich auch ältere Stücke zum Tragen kommen. Passend zum Lied "Schuld ist nur der Met" präsentiert die Gruppe ein neues T-Shirt mit ebendieser Aufschrift, das ab sofort am Merchandising-Stand erhältlich ist. Ein Exemplar wird mit großer vorheriger Ankündigung ins Publikum geworfen, und obwohl ich an einer denkbar ungünstigen Stelle stehe, landet das gute Stück genau in meinen Armen. Ein hinter mir stehender Fan wird daraufhin für den Rest des Konzertes nicht müde, mir immer wieder mitzuteilen, was für eine "glückliche Sau" ich doch sei. Ich verkneife mir, ihn anzugrunzen.

Überraschend früh verkündet Vogelfrey kurz darauf das "letzte Lied", was natürlich nur ein Trick ist, um möglichst laute Rufe nach Zugaben zu erheischen. Gespielt wird dann der Song "Feenfleisch", wozu sich der Sänger eine dieser häßlich-niedlichen Feenfiguren besorgt hat, die man heutzutage nahezu überall in pseudo-mittelalterlichen Kitsch-Läden kaufen kann. An der passenden Stelle des Liedes beißt er der Figur den Kopf ab und besudelt sich von oben bis unten mit dem herauslaufenden "Blut". Dieser Versuch, böse und wild zu wirken, wird jedoch ein Wenig von der Tatsache unterminiert, daß ein Großteil auf seiner Nasenspitze landet und ihn später eher wie einen Clown mit roter Nase als wie einen Menschen- bzw. Feenfresser wirken läßt. Aber böse gucken kann er durchaus.

Das Publikum verlangt erneut nach mehr, was der Sänger mit den Worten quittiert: "Ja-ja, jetzt, wo ich mich eingesaut habe..." Selbst schuld! Allerdings frage ich mich schon ab und an, wie er sein danach gespieltes Instrument wieder sauber kriegt. Herzallerliebst sieht er aus mit seiner roten Nase und der Tröte am Mund. Das mit dem "böse aussehen" hat leider irgendwie nicht so ganz funktioniert, auch wenn die Gruppe sich (wie auch auf ihrer Homepage) alle Mühe damit gibt.

Immerhin bildet sich während dieses Auftritts zum ersten Mal auf diesem Festival wenigstens ansatzweise so etwas wie ein Moshpit heraus, und wie weiter oben bereits erwähnt gibt es hier auch die ersten zaghaften Crowdsurfing-Versuche, welche aber wenig zufriedenstellend verlaufen. Ich bin ja sowieso kein Freund dieses ausgemachten Unfugs, weil ich dabei regelmäßig fremde Ärsche auf den Kopf und fremde Stiefel in die Fresse kriege. Aber verhindern läßt sich das Ganze wohl leider nicht.

Nach diesem Programmpunkt heißt es für mich im Laufschritt zum Metstand und dann anschließend so schnell wie möglich zurück in Richtung erste Reihe sprinten, denn jetzt spielt eine der beiden Bands, wegen denen ich überhaupt so kurzfristig zum Hörnerfest angereist bin. Heidevolk hatte ich zuletzt im Frühjahr 2009 im Bastard Club in Osnabrück live gesehen, als sie im Rahmen der "Black Sails over Europe Tour" zusammen mit Týr und Alestorm unterwegs waren. Seitdem ist viel Zeit ins Land gegangen, und Heidevolk hat inzwischen mit "Uit Oude Grond" und "Batavi" zwei neue CDs herausgebracht. Und nachdem ich im Jahr 2012 sämtliche bisherigen Alben der Band zum Julfest geschenkt bekommen habe, wurde es höchste Zeit, sie endlich wieder einmal live zu sehen.

Heidevolk ist seit ungefähr einem Jahrzehnt eine etablierte Band aus der niederländischen Pagan-Metal-Szene und öfters auch in Deutschland auf Tour. Sie verstehen sich als Nachfahren der alten sächsischen Stämme in Gelderland, demzufolge ist "Saksenland" auch eines ihrer bekanntesten Stücke. Die Gruppe möchte das alte germanische Erbe bewahren und präsentiert sich ebenfalls als Anhänger der alten Götter, die sie im Gegensatz zu den meisten nordischen Viking-Metal-Gruppen stets mit ihren südgermanischen Namen (Wodan, Donar, Ziu etc.) bezeichnen. Heidevolk singt nur auf Holländisch und ist für klaren, zweistimmigen Männergesang bekannt. Allerdings hat mit Joris Boghtdrincker gerade einer der beiden Sänger die Band verlassen, so daß für die Auftritte im Sommer ein Ersatz gefunden werden mußte.

Während Heidevolk auf ihrer Homepage öffentlich einen neuen Sänger suchen, erledigt Mickael (rechts im Bild), den sie in der entsprechenden Pressemitteilung als "Stand-in vocalist" bezeichnet haben, diesen Part beim Hörnerfest ganz ordentlich, wenngleich die Wirkung doch etwas ungewohnt ist. Neben Mark Splintervuyscht (links im Bild), der den höheren Gesangspart in gewohnter Weise beisteuert, wirkt Mickael auf der Bühne doch manchmal etwas ungelenk, und man merkt ihm irgendwie an, daß er nicht zur normalen Besetzung dazugehört.

Nichtsdestotrotz legt Heidevolk beim Hörnerfest einen tollen Auftritt hin, der das Publikum vom ersten Moment an mitreißt. Ihr Konzert bildet aus meiner Sicht eindeutig den Höhepunkt des ersten Tages, ganz unabhängig von den im Vorfeld des Festivals entstandenen Irritationen darüber, wer nun eigentlich "Headliner" oder "Co-Headliner" des Festivals sein sollte, denn insgesamt wurden allein für den Freitag gleich drei Bands mit diesen Titeln vermeldet, was selbst beim besten Willen mehr sind, als zusammen in eine großgedruckte erste Plakatzeile passen... Daß es beim Auftritt von Heidevolk noch hell ist, tut der Stimmung vor der Bühne jedenfalls keinen Abbruch. Das enge Festivalgelände ist zum ersten Mal an diesem Wochenende voll bis zum Eingang, und es wird mitgesungen und geheadbangt, was das Zeug hält. Und nervtötenderweise landen auch wieder mal einige Crowdsurfer auf meinem Kopf anstatt im Fotograben, was es etwas schwierig macht, sich in der ersten Reihe auf den Musikgenuß zu konzentrieren.

Die genaue Setliste, die Heidevolk spielt, habe ich jetzt natürlich nicht mehr im Kopf, schließlich bin ich ja kein Journalist, der sich beim Konzert Notizen für seinen Artikel macht. Mit dabei waren abgesehen vom unvermeidlichen "Saksenland" auf jeden Fall "Beest bij Nacht", "Ostara", "Het Gelders Volkslied", "Walhalla wacht" , "Wodan heerst", "Het bier zal weer vloeien" und soweit ich mich erinnern kann auch noch "Het Wilde Heer", "Nehalennia" und "Furor teutonicus". Kreuzigt mich bitte nicht, falls ich mich an irgendeiner Stelle irren sollte.

Im Zugaben-Teil folgt außerdem noch das von einigen im Publikum bereits lautstark geforderte "Vulgaris Magistralis", was zwar nicht unbedingt mein persönlicher Lieblings-Song von Heidevolk ist, aber heute jedenfalls eindeutig am lautesten mitgesungen wird. Heidevolk scheint sichtlich Spaß am heutigen Auftritt zu haben, vor allem Reamon Bomenbreker (Foto oben) und Rowan Roodbaert (Foto rechts) posen mit E-Gitarre bzw. E-Bass, was das Zeug hält. Leider sind die eine Stunde und zehn Minuten, die der Veranstalter der Band und ihren Fans gegönnt hat, viel zu schnell vorbei. Ich persönlich hätte lieber bei den beiden nachfolgenden Bands, die jeweils volle anderthalb Stunden bekamen, auf das eine oder andere Lied verzichtet. Na ja, soviel zum Thema "Co-Headliner". Aber geil war's trotzdem!

Während der nachfolgenden, halbstündigen Umbaupause decke ich mich erst einmal am Merchandising-Stand mit Heidevolk-T-Shirts ein. Nachdem ich mir zuvor bereits das diesjährige Hörnerfest-T-Shirt besorgt und beim Vogelfrey-Konzert das Schuld-ist-nur-der-Met-T-Shirt gefangen habe, wird es langsam Zeit, die ganzen T-Shirts zum Auto zu bringen, weil meine Jacke mittlerweile aus allen Nähten platzt und ich schon ein Shirt am Gürtel hängen habe. Leider gibt es auf dem ganzen Festival nirgendwo Langarm-T-Shirts zu kaufen. Das entsprechende Angebot hat in den letzten Jahren sowieso überall stark nachgelassen. Dabei waren diese praktischen Dinger doch eigentlich immer ein ziemlich cooler Aspekt der Metal-Szene. Und wenn das mit den sogenannten "Sommern" in den nächsten Jahren so weitergeht, wird man früher oder später irgendwann die ersten Kurzarm-Shirt-Träger mit Frostbeulen ins nächste Krankenhaus einliefern müssen.

Nachdem ich mir ein festivaltypisches Kaltgetränk in mein Horn nachgefüllt und einen Abstecher zur Falafelbude unternommen habe, komme ich erst während des Konzertes von Fiddler's Green wieder auf das Festgelände, aber natürlich nicht, ohne zuvor am Eingang ein weiteres Mal gründlichst durchsucht worden zu sein (und zum gefühlt siebten Mal die chinesischen Eßstäbchen vorzeigen zu müssen, die von irgendwann in der Innentasche meiner Jacke übriggeblieben sind). Besonders lästig wird das auf Dauer, wenn man nur mal eben gegenüber auf der anderen Straßenseite auf's Dixi-Klo will. Regelrecht albern wird die Sache später, als mich ein Ordner, der mich drei Minuten zuvor schon einmal gefilzt hat, zwar wiedererkennt und kein weiteres Mal durchsucht, aber trotzdem unbedingt mein Festival-Bändchen sehen will, das ich ihm ebenfalls gerade eben schon vor die Nase gehalten hatte.

Über Fiddler's Green möchte ich mich an dieser Stelle eigentlich gar nicht groß weiter auslassen. Ich mag die Band nicht, das ist einfach nicht meine Musikrichtung, und ich habe mich auf Festivals bereits des Öfteren gefragt, warum sie eigentlich immer wieder für Veranstaltungen engagiert werden, zu deren Grundidee sie eigentlich gar nicht passen. Mit Heavy Metal ist die Musik, die sie spielen, beispielsweise nicht wirklich kompatibel, aber mit Pagan Folk nach Art von Omnia eigentlich auch nicht, und mit dem Mittelalter haben sie erst recht nichts zu tun. Ich vermute mal, daß das irgendetwas mit diesen ominösen kleinen bunten Scheinchen mit Zahlen drauf zu tun haben muß. Wie auch immer, bei diesem Konzert halte ich mich jedenfalls lieber im Hintergrund und sehe zu, daß ich nach seinem Ende als Erster draußen bin, um einen möglichst guten Platz für die anschließende Feuershow vor der Marktbühne zu bekommen.

Wie sich herausstellt, hat sich diese Maßnahme durchaus gelohnt, denn die Feuershow der Celtic Fireangels ist ein beeindruckendes Erlebnis. Mit der ganzen Palette an Stäben, Levi Sticks, Pois, Snakes, Fächern, Feuer-Hula-Hoops, flammenden Schwertern und einigen ganz eigenen Kreationen zaubern sie die Magie des Feuers in die Nacht. Die passende Begleitmusik liefern die Dudelzwerge, die jetzt nur mit mittelalterlichem Instrumentarium angetreten sind. Sehr stimmungsvoll!

Spontan beschließe ich, das dies einen schönen Abschluß für diesen Abend darstellt. Auf der Festival-Bühne spielt jetzt zwar noch Corvus Corax, aber mit den selbsternannten "Königen der Spielleute" bin ich in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr warm geworden. Ich hatte sie zuletzt beim Siegfried-Spektakel in Xanten gesehen, wo sie das Abendkonzert spielten, oder sagen wir besser, herunterleierten. Dabei ließ damals nicht nur die musikalische Qualität zu wünschen übrig, sondern auch die geradezu penetrante Selbstbeweihräucherung widerte uns an, und für uns war damals die Konsequenz, zum ersten und für lange Zeit auch einzigen Mal eine Mittelalter-Veranstaltung während des angeblichen "Höhepunktes" vorzeitig zu verlassen.

Mit einer Wiederholung der damaligen Erlebnisse möchte ich mir nicht diesen schönen Abend verderben, und schon gar keine Lust habe ich darauf, mich dafür auch noch erneut an der Einlaßkontrolle anstellen zu müssen. Und das, was heute Abend von Corvus Corax von Weitem zu hören ist, bestätigt auch meine Einschätzung. Außerdem beginnt es genau in dem Moment, in dem sie ihre Dudelsäcke in Betrieb nehmen, zu regnen. Offenbar hat Jonny Robels mit seiner diesbezüglichen Theorie doch Recht! Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an einschlägige Hits wie Rauch über'm Wäldchen (mit direktem Bezug zu Corvus Corax), 99 Dudelsäcke oder natürlich an den berühmt-berüchtigten Bauschaum... ;-)

Nach einem kurzen Abstecher zur einzigen Waschgelegenheit kehre ich zu meinem Auto zurück, lege mir im durch das Umlegen der Rückbank erweiterten Kofferraum Schafsfelle, Schlafsack und Wolldecken zurecht und begebe mich zur Ruhe, während der Regen den Zeltplatz endgültig in eine Schlammwüste verwandelt. Als ich morgens aufwache, animiert mich die Aussicht aus dem Autofenster so wenig zum Aufstehen, daß ich so lange liegenbleibe, bis gegen Mittag der Regen endlich weniger wird.

Die Band The Privateer hat leider die Arschkarte gezogen, bei diesem Wetter als Erste spielen zu müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß zu diesem Zeitpunkt allzu viele Zuschauer den Weg zur Bühne gefunden haben. Ich jedenfalls nicht. Und so laut, daß man sie bis zum Ende des Zeltplatzes gehört hätte, waren sie nun auch nicht. So vermag ich nur zu sagen, daß es sich offenbar um eine weitere "piratige" Band zu handeln scheint, die ich an dieser Stelle nicht zu beurteilen wage.

Irgendwann mittags hört der fiese Nieselregen dann doch noch auf, und ich begebe mich zum Zähneputzen in Richtung Waschtrog. Auf dem Weg quer über den Zeltplatz watet man morgens allerdings nicht überall nur durch den tiefen Schlamm, sondern (leider ebenfalls ganz festivaltypisch) durch den gesamten Zivilisationsmüll, den ein grill- und bierseliges Festival-Publikum an einem langen Abend so produziert. Ob da das Mülltütenpfand wohl noch irgendetwas hilft...?

Auf dem Weg zum nächsten Dixi-Klo bekomme ich einen guten Eindruck, wie es während der Zombie-Apokalypse aussehen könnte. Unterwegs treffe ich zahlreiche wandelnde Leichen, oder zumindest erwecken einige Kandidaten diesen Eindruck. Die Nacht war offenbar kurz und die Metflaschen groß. Ein sturzbesoffener Kuttenträger wankt im Schlamm vor den Toiletten immer hin und zurück, öffnet ab und an eine neue Bierdose, verschüttet nach und nach den kompletten Inhalt, und dann geht das gleiche Spielchen von vorne los. Hier ist offenbar in gleich mehrfacher Hinsicht Hopfen und Malz verloren.

Etwas weiter in Richtung Freßmeile hat es ein offensichtlich mangelhaft befestigtes, leichtes Wurfzelt über Nacht mitten auf den schlammigen Weg verblasen. Macht aber nichts, denn hier kommt heute sowieso nicht einmal der Traktor durch, der den bereits nicht mehr selbst fahrfähigen Servicewagen durch den Schlamm zieht, der eigentlich die größtenteils randvollen Dixi-Klos abpumpen sollte. Ich erspare dem geneigten Leser an dieser Stelle weitere Details...

Mein Frühstück habe ich mir glücklicherweise selbst mitgebracht, denn so ganz weiß das Angebot auf der Freßmeile in dieser Hinsicht leider nicht zu überzeugen. Beim "Scorpions Inn" gibt es wenigstens noch einen normalen schwarzen Tee, den ich nach längerer Suche auf der Karte irgendwo zwischen exotischen Gewürztees und den gefühlten hunderttausend verschiedenen Sorten Wasserpfeifen-Tabak finde. Diverse Leute in absolut cooler Sitzhaltung rauchen hier zum Frühstück schon wieder irgendwelchen Obstsalat, und ich halte mich lieber nicht allzu lange in der Nähe auf, weil mein Verdauungstrakt mir damit droht, sich gewisse Dinge noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Und das möchte ich dann doch lieber nicht riskieren.

Die erste Band, deren Auftritt ich an diesem Tag zu sehen bekomme, ist Grimner aus Schweden, die musikalisch irgendwo im Bereich Folk Metal oder Viking Metal anzusiedeln sind. Die außerhalb Schwedens eher noch wenig bekannte Gruppe besteht durchweg aus langharigen Zottelbären, wie man sie auf einem richtigen Metal-Festival erwarten würde. Sie tragen aber wikingerzeitlich angehauchte Klamotten und passen damit auch optisch sehr gut auf das Hörnerfest. Der Auftritt weiß sehr wohl zu gefallen, allerdings haben sich zu dieser frühen Stunde erst wenige Fans vor der Bühne versammelt. Dazu trägt sicher auch mit bei, daß es nach den Regenfällen der Nacht statt eines Moshpit eher einen Matschpit gibt. Einigen scheint das egal zu sein, sie tanzen trotzdem und sauen sich dabei ziemlich ein, aber ehrlich gesagt ist das sowieso nicht gerade die Crème der Festival-Besucher.

Der etwas ungünstige Termin ist natürlich schade für Grimner, die sicherlich mehr Publikum verdient gehabt hätten. Sie machen trotzdem das Beste aus ihrem Auftritt, und zumindest der Keyboarder (Kristoffer Kullberg) scheint unter seiner Zottelfrisur sowieso nichts von der Welt mitzubekommen, jedenfalls sieht man vor lauter Haaren sein Gesicht so gut wie nie. Zum Ende der Show gibt es noch einen Knalleffekt, denn Johan Rydberg, der gerade eben noch die Flöte gespielt hat, tritt unvermittelt mitten auf der Bühne als Feuerspucker in Erscheinung. Das erklärt wohl auch sein ungewöhnliches Bühnen-Outfit mit einer ledernen Schmiedeschürze. Leider ist das nur schwer zu fotografieren - der offizielle Fotograf der Band hat es offenbar auch nicht geschafft.

Nach diesem Auftritt verlasse ich kurz das Festgelände, um draußen eines der Dixi-Klos zu besuchen. Zu meiner Überraschung stelle ich fest, daß sich fünf Leute vom danebenliegenden Zeltplatz mit ihren Camping-Stühlen vor den Dixis aufgebaut und diese mit römischen Ziffern aus Klebeband provisorisch durchnumeriert haben. Jeder versucht jetzt, die verdutzten Toilettenbesucher auf "seine" Toilette zu lotsen. Offenbar spielen sie ein Spiel analog zum Kuhfladen-Bingo.

Es ist doch immer wieder interessant, auf was für (mehr oder weniger) lustige Ideen Menschen kommen, wenn sie nur ein ausreichendes Maß an Gerstenkaltschale intus haben! Bei einer anschließenden kleinen Runde über den vorderen Zeltplatz begegnen mir zunächst zwei Jungs mit einem aus einer kleinen Musikanlage, zwei Lautsprechern und einer Autobatterie selbst zusammengebastelten Ghettoblaster, den sie komplett mit rosafarbenem Kunstfell überzogen haben. (Leder oder schwarz-weißes Kuhfell wäre cool gewesen!) Auf dem Rückweg gerate ich zwischen eine Gruppe, die zunächst mit leeren Bierdosen Baseball zu spielen versucht und dann die Dosen mit dem Baseballschläger inbrünstig in den aufgeweichten Ackerboden prügelt. Als man zu halbvollen Bierdosen übergeht und ich fast getroffen werde, suche ich dann doch lieber das Weite.

Als nächste Band spielt Harpyie, eine, sagen wir mal, Mittelalter-Folk-Rock-Band aus Bad Oeynhausen. Irgendwie ist das nicht so ganz meine Art von Musik, zumal ich immer den Eindruck habe, daß sie es nicht so recht schaffen, den Text mit der Melodie in Einklang zu bringen. Außerdem sind sie mir irgendwie unheimlich. Daran ändert es auch ganz gewiß nichts, daß mir das (einzige) weibliche Bandmitglied, Mechthild Hexengeige, später beim Abtransport der Instrumente gleich mehrmals über den Weg läuft und mich dabei jedes Mal in einer Weise ansieht, die mich schwer rätseln läßt, ob sie mit mir zu flirten versucht oder mich doch eher fressen will. Das Konzert der Harpyien lasse ich jedenfalls aus.

Statt dessen kaufe ich mir auf dem Markt noch einige weitere T-Shirts mit heidnischen Motiven. Ein Renner ist in diesem Jahr offenbar ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Klimawandel stoppen - Thor statt Petrus!" Gleich nebenan werden Corsagen an Frauen wirklich jeder Größe verkauft - leider vor allem an solche, die eigentlich beim besten Willen nicht hineinpassen. Ich denke, wir alle kennen das Resultat, das an eine geplatzte Weißwurst in der Pelle erinnert, so daß ich dies hier nicht mehr näher ausführen muß...

Bevor ich die ganzen soeben erstandenen T-Shirts zum Auto bringe, wird es so langsam Zeit, etwas zu essen. Allerdings hat sich die Auswahl und Qualität in dieser Hinsicht seit meinem letzten Besuch beim Hörnerfest leider nicht wirklich verbessert. Interessant ist der Grillstand allerdings schon, denn wo man anderenorts Mitarbeiter eines Catering-Service vorfinden würde, steht hier ein bärtiger Metal-Bär mit Kutte an einem Grill Marke Eigenbau, dessen Rost offenbar aus einem zweckentfremdeten Lichtgitterrost besteht. Das mit dem Durchgaren hat man hier allerdings leider noch nicht so ganz raus, und verwirrenderweise kostet das Schweine- oder Putensteak manchmal 50 Cent weniger, wenn man den Krautsalat wegläßt, und manchmal nicht. Die nebenan produzierten Pommes sind zwar relativ billig, aber dafür schlecht. Schade!

Auf dem Marsch durch den Schlamm mache ich nach dem Essen einen Umweg zum Händewaschen an den Waschbottich. Der kleine Abstecher führt mich anschließend mitten durch das mittelalterliche Zeltlager, wo im Moment gerade eine Tanzvorführung stattfindet. Zum Klang von Djemben und Fingerzimbeln führen die bunt kostümierten Damen einen Rundtanz auf und drehen sich schwungvoll im Kreis. Mal etwas Anderes als immer nur Moshen und Headbangen!

Allzu viel Publikum verliert sich leider nicht zu dieser Aufführung, die auch bald wieder zu Ende ist. Die meisten Leute scheinen um diese Tageszeit entweder dauerhaft auf den Bänken vor der Freßmeile und an den Bierbuden abzuhängen oder im Zeltlager am Grill die Zeit totzuschlagen und auf den Auftritt bestimmter Bands zu warten. Auch der mittelalterliche Markt ist um diese Zeit alles andere als überlaufen. Dabei ist die Qualität der angebotenen Waren wie gesagt wirklich nicht zu verachten. Eine sehr interessante Erscheinung, die mir heute immer wieder über den Weg läuft, ist eine hübsche junge Federschmuckverkäuferin, die ihre Waren in einem Bauchladen mit sich herumträgt und obendrein am Gürtel noch ein komplettes Werkzeug-Set zur Schmuckbearbeitung (z. B. zum Weiten von Ringen) dabei hat.

Sie erlaubt mir netterweise, ein Foto von ihr zu machen, das auch sehr schön geworden ist. Ich werde es hier allerdings ebensowenig veröffentlichen wie die Aufnahmen der drei Mädels, die zwischen den Zelten mit (nicht entzündeten) Feuer-Hula-Hoop-Reifen trainierten. Mir selbst geht es auf Mittelalter-Veranstaltungen ja schließlich auch immer auf die Nerven, ständig ohne mein Einverständnis fotografiert zu werden und dann keinerlei Kontrolle darüber zu haben, auf welchen Internet-Seiten danach überall mein Foto kursiert. Deshalb werde ich an dieser Stelle auf ebendieses unschöne Touristen-Verhalten verzichten. Falls Du, liebe Schmuckverkäuferin, diesen Bericht allerdings lesen solltest und das Foto gerne haben möchtest, kontaktiere mich doch bitte. Ich hätte da sowieso noch ein paar Fragen...

Während der Umbaupause auf der Hauptbühne spielen die Dudelzwerge ihr Akustik-Programm auf der kleinen Marktbühne und sorgen damit beim Publikum für sichtlich gute Laune. Zwei Betrunkene tanzen direkt vor der Bühne und sorgen für allgemeine Belustigung. Einer davon braucht alle paar Minuten Bier-Nachschub, den ihm sein ganz privates Catering-Team auch beständig griffbereit bereithält, und versorgt zwischendurch auch die dankbare Band mit Dosenbier.

Wie man anhand der Fotos unschwer erkennen kann, scheint mittlerweile die Sonne, und plötzlich ist es so warm geworden, daß ich mein Longsleeve-T-Shirt im Auto lasse (was sich später noch als Fehler herausstellen wird) und mir auf dem Rückweg zur Festivalbühne ein Eis mit Krokant-Topping am Softeis-Stand hole (was sich gleich als Fehler herausstellt, weil es schneller dahinschmilzt, als ich es essen kann, und ich mir beim Betreten des Festival-Geländes furchtbar die Hände vollkleckere - und die einzige Waschgelegenheit, für die man nicht schon wieder 50 Cent extra bezahlen muß, ist bekanntlich draußen, hinter Freßmeile, Backstage-Bereich und Mittelalterlager, also auf halbem Weg zum Auto...).

Als nächste Band ist jetzt TrRollheimen an der Reihe. Das Wort Trollheimen bezeichnet heute eine Berglandschaft in Mittelnorwegen, die von Romantikern des 19. Jahrhunderts als Heimat der Trolle angesehen wurde. Wozu aber das zweite, großgeschriebene "R" im Bandnamen dienen soll, wird leider auch nach einem intensiven Studium ihrer Homepage nicht klar. Rein vom Namen her hätte ich eigentlich eine Heavy-Metal-Gröhl-Band skandinavischen Stils erwartet, etwas in der Art von Finntroll, also viel schöne Musik, die genauso konsequent von einem gänzlich unmusikalischen Schreihals zerstört wird. Vor zwei Jahren wurde das Hörnerfest rein zahlenmäßig von derartigen Gruppen dominiert. Aber zum Glück stellt sich der Verdacht als vollkommen unbegründet heraus. So ein Name ist halt nicht immer Programm...

TrRollheimen, die übrigens aus dem so gar nicht skandinavischen Paderborn kommen und sich selbst nicht als Band, sondern als "Kuriositätenkabinett" bezeichnen, spielen einen launigen Mix aus Mittelalter und Moderne, der allerdings stark auf die Verwendung verschiedentlicher Dudelsäcke ausgerichtet ist, was mich schon wieder um das schöne Wetter fürchten läßt. Das Bühnen-Outfit wirkt ein Bißchen so, als habe man versucht, eigentlich ganz normalen Klamotten mit möglichst wenig Aufwand und etwas grüner Farbe einen folkigen Anstrich zu verleihen. Von den auf der Homepage ausdrücklich erwähnten Steampunk-Elementen ist auf der Bühne allerdings nichts zu sehen.

Das soll jetzt aber eigentlich gar keine Kritik sein, denn irgendwie sehen sie auch so ganz knuffig aus und machen vor allem recht launige Musik. Rein optisch beeindruckt TrRollheimen aber vor allem durch die mit deutlichem Abstand größte Musikerin, die ich je auf einer Bühne gesehen habe. Sie überragt ihre männlichen Kollegen um nahezu eine Haupteslänge, und da man aus dem Publikum natürlich auch so schon zu ihr aufsieht, wirkt sie fast wie eine Sagengestalt, vielleicht eine Eisriesin oder eine Walküre. Ich frage mich unwillkürlich, welcher Mann es überhaupt wagen würde, eine dermaßen imposante Erscheinung auf der Straße anzusprechen. Ganz egal, ob sie als Frohnatur daherkommt, die sie auf der Bühne während des ganzen Auftritts darstellt. Der Band merkt man ohnehin den Spaß an der Sache an.

Bei einer ihrer letzten Nummern überrascht TrRollheimen dann auch noch mit einem Auftritt der vermutlich kleinsten Frau, die ich jemals auf einer Festival-Bühne gesehen habe, nämlich einer Tänzerin, die offensichtlich irgendwo aus Südostasien stammt, kaum mehr als halb so groß wie ihre riesenhafte deutsche Kollegin wirkt und mit zwei roten Federfächern eine Performance hinlegt. Stilistisch paßt dieser zwar nicht unbedingt zur gespielten Musik, aber rein optisch wirkt es irgendwie schon interessant und bietet dem Publikum eine offenbar willkommene, exotische Abwechslung.

Während des Konzertes von TrRollheimen sieht man übrigens auch einen der seltenen Momente, in denen sich andere Bands im Publikum blicken lassen. In diesem Fall sind es die Dudelzwerge, die eine geradezu unverschämt gute Laune an den Tag legen (vermutlich, weil sie ihr Tagewerk inzwischen getan haben) und die ganze Zeit über nur noch Faxen machen. Zunächst bekommt Herr U. von Yanishar einen Turban angelegt, auf den zwischenzeitlich auch noch der Deutschland-Strohhut eines Festival-Besuchers aufgesetzt wird. Später zieht ihm die Merchandising-Dame der Band statt der schwarzen Zipper-Hoodie ihr Kunstfell-Jäckchen über, das ihm natürlich viel zu klein ist, so daß er zwischendrin sogar versucht, die Schließe an seinen zwei Brustwarzenpiercings festzumachen. (Aua!)

Durch ihre Späßchen stehlen die Dudelzwerge den Kollegen auf der Bühne ein Bißchen die Schau, denn eine Zeit lang hat etwa ein Drittel des Publikums nur Augen für ihre Faxen und bekommt dadurch kaum noch mit, was TrRollheimen eigentlich gerade spielt. Aber die Gruppe läßt sich dadurch nicht beirren, und schließlich ist es doch schön, wenn die Leute Spaß und gute Laune haben, oder? Jedenfalls vergeht die Zeit wie im Fluge, und nach kurzer Pause (während derer ich nach einem zweiminütigen Abstecher nach draußen zum kostenlosen Dixi-Klo natürlich wieder einmal gründlich durchsucht werde - Strafe muß sein...) ist auch schon die nächste Band an der Reihe.

Off Limits ist eine Steampunk-Band aus Oldenburg, die gelegentlich auch schon mal dem (auf diesem Festival durchaus reichlich vertretenen) Genre des Folk Rock zugeordnet wird. Der Frontmann der Formation überrascht zunächst durch das ungewöhnliche Kunststück, synchron in gleich zwei monströse Hörner zu blasen. Das wird doch wohl kein Playback sein...? Wenn nicht, zeichnet er sich durch enorme Lippenkraft aus. Immerhin spielt er später noch Didgeridoo.

Rein optisch hebt sich Off Limits durch die vielen Steampunk-Elemente deutlich von den anderen Bands des Festivals ab. Erwähnt seien an dieser Stelle nur die altmodischen Hüte, die typischen Steampunk-Brillen und die schicke Retro-Dekoration der Mikrofone. Zusätzlich zur Stammformation sind sie mit einer zweiten Geigerin angetreten, die zwar etwas schlichter kostümiert ist, aber dafür das Klangbild nachhaltig erweitert. Die Musik klingt für mich ungewohnt, ein paar Elemente scheinen sogar aus Richtung Country oder Blues zu stammen, aber das Ergebnis ist in dieser Instrumentierung durchaus gefällig.

Zum Glück kommt heute niemand auf die Idee, den Titel des Openers der letzten, selbstproduzierten CD ernst zu nehmen. Sonst wäre an dieser Stelle jetzt Schluß, denn der Song heißt "Evacuate the Festival". Relativ sicher bin ich mir auch noch, die Titel "Davy Jones" und "Wenn ich tot bin" vernommen zu haben, aber das ist natürlich immer ziemlich schwierig zu sagen bei Bands, die man im Vorfeld des Festivals noch überhaupt nicht kannte.

Trotzdem vermute ich, daß die Mehrzahl der gehörten Songs von der Live-CD stammten, wenngleich Off Limits woanders auch schon mal zwei Stunden lang am Stück gespielt hat und hier heute nur eine Stunde und zehn Minuten Zeit bekommen hat. Der Eindruck war überraschend positiv, und auch wenn ich jetzt nicht unbedingt anfangen werde, ihnen quer durch's Land hinterherzufahren, würde ich mich durchaus freuen, ihnen auf zukünftigen Festivals ab und an mal wieder zu begegnen. Was übrigens für die meisten Bands gilt, die dieses Jahr auf dem Hörnerfest gespielt haben. Für die nächste jedoch eher nicht.

Schon der Name, den ich im Line-up für das Hörnerfest zum ersten Mal im Leben gelesen habe, verspricht nichts Gutes. BerlinskiBeat, was soll das bitteschön sein? Und was hat es auf diesem Festival zu suchen? Aber noch ahne ich nicht, um wen es sich hier handelt. Als der Auftritt beginnt, stehe ich so ungefähr in der sechsten Reihe, und als die Musiker die Bühne betreten, schießt mir angesichts des Bandleaders der Gedanke durch den Kopf: "Diese Hackfresse hast du doch irgendwo schon einmal gesehen...?!"

Meine Verwirrung klärt er jedoch schnell auf und wird im Laufe des Vorgeschwätzes zu den ersten Liedern auch nicht müde, es immer wieder zu betonen: Es handelt sich um Corvus Corax, die unter anderem Namen auftreten, "weil sie etwas Anderes machen wollen". Nun ja. Im Vergleich zu vielen anderen Bands, denen nichts mehr einfällt und die das traurige Ergebnis dann "musikalischer Neubeginn" nennen, ist dieser Trick mit dem Namen immerhin noch kreativ. Was allerdings leider weder für den neuen Musikstil noch für die albernen Bühnenkostüme gilt. Von einer tuntigen Robbie-Williams-Variante bis zu einer schwulen Version der Blues Brothers ist rein optisch eigentlich alles dabei.

Was die sogenannte Musik angeht, die Corvus Corax, ääh, BerlinskiBeat hier produziert, so handelt es sich dabei durchgängig um unerträglichen Krach, der obendrein noch durch die furchtbar eingestellte, überregelte Anlage zu einem undefinierbaren Brei vermischt wird. Und was um alles in der Welt hat die Jungs bloß geritten, so etwas wie Beat-Musik produzieren zu wollen, ohne dabei wenigstens konsequent auf ihre schrecklichen Dudelsäcke zu verzichten?!

Nach drei Songs halte ich es nicht mehr aus und entferne mich sicherheitshalber bis zum äußersten Ende des Festival-Geländes. Eine echte Sensation: Corvus Corax gewinnt den Wettbewerb "schlechteste Band des Festivals" souverän nicht nur auf dem ersten, sondern auch auf dem zweiten Platz. Als "BelinskiBeat" sind sie noch unerträglicher!

Zum Glück wird hier heute Abend allerdings auch noch richtige Musik gespielt! Der Merchandising-Stand von Týr hat netterweise schon geöffnet, und da es mittlerweile saukalt geworden ist, schaue ich mal vorbei, in der Hoffnung, irgendwelche neuen Longsleeve-Shirts zu bekommen. Leider haben sie keine dabei, und so kaufe ich mir zum ersten Mal im Leben eine Zipper-Hoodie, die mir überraschenderweise sogar in L paßt. Offenbar habe ich durch die für meine Verhältnisse extremsportlichen Aktivitäten der letzten Zeit doch mehr abgenommen, als ich dachte.

Aber auch damit ist mir immer noch zu kalt, so daß ich schnell noch einmal zurück zum Auto gehe, mir gleich zwei ältere Longsleeves von Týr unterziehe und auf dem Rückweg gerade noch den Metstand aufsuchen kann, um mein Trinkhorn aufzufüllen, bevor das unsägliche Konzert von BerlinskiBeat endlich zu Ende ist und ich es wagen kann, mich rechtzeitig zum Höhepunkt des Festivals in die erste Reihe vorzuschieben. Dort treffe ich zu meiner großen Überraschung auf einen Bekannten, der letztes Jahr am 21. Dezember das heidnische Julfest ausgerichtet hat, bei dem ich zu Gast war. Die Welt ist eben klein!

Leider verzögert sich der Auftritt von Týr jedoch um ungefähr eine Stunde, wobei nicht klar wird, ob es sich um technische Probleme handelt oder ob der Tontechniker einfach nur so lange mit den Resultaten des Soundchecks unzufrieden ist. Die Gerüchteküche im Publikum besagt aber eher Letzteres. Derweil haben wir alle Hände voll zu tun, uns gegen Spätankömmlinge zu wehren, die sich mit aller Dreistigkeit und teilweise auch mit Gewalt in die erste Reihe vorzudrängen versuchen.

Irgendwann geht es schließlich aber doch noch los. Und Týr legen jetzt den erhofften, professionellen und mitreißenden Auftritt hin. Fragt mich jetzt aber bitte nicht nach der exakten Setliste. Zum Einen bin ich dafür viel zu sehr abwechselnd mit Fotografieren und Headbangen beschäftigt. Zum Anderen habe ich die meisten Lieder mittlerweile so sehr verinnerlicht, daß ich sie schon auswendig mitsingen kann, ohne überhaupt noch näher darüber nachzudenken. Damit habe ich Frontmann Heri Joensen schon im Jahr 2009 in Osnabrück sichtlich verwirrt, als ich beim Konzert im Bastard Club etwa einen Meter vor ihm stand und sämtliche Lieder, einschließlich derer mit altnordischen und färöischen Texte, mitgesungen habe (allerdings natürlich ohne allzu viel davon zu verstehen).

Auf jeden Fall gespielt wurden auf dem Hörnerfest "Flames of The Free", "Hail to the Hammer", "By the Sword in My Hand", "Ramund Hin Unge", "The Wild Rover", "Tróndur Í Gøtu", meiner Erinnerung nach vermutlich ebenso "Sinklars Vísa" und definitiv "Shadow of the Swastika", das sich gerade hier unter deutschen Heiden und anderen Menschen, die ständig von Ignoranten und selbsternannten Bessermenschen völlig zu Unrecht mit Nazis in einen Topf geworfen werden, eines enormen Zuspruches erfreute.

Erstaunlich verwirrt reagiert das Publikum, als Heri Joensen "Hold the Heathen Hammer High" als "the other hammer song" ankündigt. So viele Lieder über Mjölnir hat Týr nun auch wieder nicht gemacht, als daß das so schwer zu erraten wäre. Aber man sieht daran, welchen Stellenwert "Hail to the Hammer" immer noch hat und daß die Band den Song auf ihrer Homepage nicht ganz zu Unrecht als Hymne des Pagan- und Viking-Metals bezeichnet. Hinzu kommt allerdings auch, daß das viel langsamere "Hail to the Hammer" natürlich auch deutlich leichter mitzusingen ist. Wobei das Publikum sich an diesem Abend sowieso allgemein als äußerst sangesfreudig erweist.

Bei aller Profesionalität fällt mir auf, daß Týr sich, seit ich sie 2009 zuletzt live gesehen habe, zu einer richtig großen Band des Genres entwickelt hat, was auch mit sich bringt, daß der Auftritt viel weniger familiär wirkt als damals. Sie wirken auf mich irgendwie unnahbar und stehen heroisch auf der Bühne, als wenn sie selbst nordische Götter wären. Heri Joensen und Gitarrist Terji Skibenæs wirken fast ein Bißchen verkrampft, vor allem Terji macht einen angestrengten Eindruck und ist vorwiegend mit demonstrativem Posieren für die Kameras beschäftigt. Nur der von den beiden ab und an etwas in den Hintergrund gedrängte Bassist Gunnar H. Thomsen wirkt locker wie eh und je. Nichtsdestotrotz geht das Publikum über das gesamte Konzert voll mit und verlangt am Ende nach weiteren Zugaben.

Diese können allerdings aus naheliegenden Gründen nicht mehr gewährt werden, weil durch die Verzögerungen der gesamte Zeitplan völlig durcheinandergekommen ist. So wird nach diesem Auftritt die Bühne im Eiltempo umgebaut. Auch die in der Umbaupause vor der Marktbühne stattfindende Feuershow der Gruppe "Drachenrachen" hat sich entsprechend verzögert und scheint auch in verkürzter Form abgehalten zu werden. Aufgrund des enormen Publikumsandranges ist es mir nicht möglich, davon irgendwelche brauchbaren Fotos zu machen, daher hier ersatzweise ein YouTube-Video sowie ein paar Foto-Impressionen von einer anderen Veranstaltung.

Als letzte Band des Festivals spielt zu vorgerückter Nachtstunde jetzt noch Månegarm aus Schweden. Die schon 1995 gegründete Viking-Metal-Band kommt in ihrem Sound heute noch am ehesten dem Stil gleich, der vor zwei Jahren das Hörnerfest dominiert hat, allerdings ist der Gesang durchaus auszuhalten und die musikalische Qualität auch akzeptabel, so daß ich diesmal bis zum Ende auf dem Platz bleibe, obwohl die Lautstärke mir nun doch ziemlich in den Ohren dröhnt.

Etwas irritiert bin ich während dieses Konzertes über das Verhalten einer (durchaus ansehnlichen) jungen Dame, die mich mehrfach anspricht und auch längere Zeit deutlich enger und mit mehr Körperkontakt zu mir tanzt, als es angesichts der um diese Zeit doch schon etwas gelichteten Menge erforderlich wäre. Das wäre ja alles gut und schön, nur bin ich mir sicher, sie kurz zuvor noch in der Begleitung ihres Freundes gesehen zu haben, der auch noch irgendwo hinter uns steif wie eine Eiche in der Landschaft herumsteht. Das alles ist mir jetzt irgendwie unangenehm, denn schließlich will ich hier auf den letzten Drücker nicht noch Ärger bekommen. Aber mit dem Ende des Konzertes hat sich dies glücklicherweise erledigt, denn die beiden verschwinden auf dem Fuße.

Da Månegarm zu ihrer gerade kurz vor der Veröffentlichung stehenden, neuen CD namens "Legions of the North" ein durchaus ansehnliches T-Shirt mitgebracht haben, das allerhand Wölfe, Berserker, Walküren, nordische Krieger und die Midgard-Schlange zeigt und auch farblich ziemlich cool aussieht, kaufe ich mir noch schnell trotz des recht stattlichen Preises von immerhin 20 Euro dieses T-Shirt, wobei sich der Preis dadurch ein Bißchen reduziert, daß ich auf dem Weg zum Merchandising-Stand über einige Pfandbecher stolpere. Nach dem schon gewohnten Abstecher zum Waschtrog lege ich mich gegen 2 Uhr nachts schlafen, penne bis 10 Uhr und verlasse gegen 11 Uhr den Zeltplatz. Letztes Jahr wäre ich hier fast im Schlamm steckengeblieben. Aber diesmal kriegt Ihr mich nicht, denn mittlerweile fahre ich einen Geländewagen! ;-)

Am Ende bleibt nur noch die Auflösung meiner Frage nach den rätselhaften 5 Euro Mülltüten-Pfand. Schließlich habe ich hier überhaupt keinen Müll produziert, und bis zum Schluß ist mir nicht klar, ob ich mein Geld jetzt trotzdem wiederbekomme oder ob ich dafür erst noch irgendwelchen fremden Müll einsammeln muß. Glücklicherweise erweist sich das Hörnerfest auch in dieser Hinsicht als erfrischend unkompliziert, denn ich kann problemlos die leere Tüte wieder abgeben. Während ich dies erledige, parkt hinter mir eine Dame ihren Wagen äußerst geschickt mitten in der Ausfahrt, und ich möchte nicht wissen, wie viele Leute deswegen hinterher noch im Schlamm steckengeblieben sind.

Die Ausbeute dieses insgesamt sehr gelungenen Festivals besteht neben vielen schönen Erinnerungen für mich übrigens aus nicht weniger als acht neuen T-Shirts (sowie natürlich der Týr-Zipper-Hoodie). Passende Musik begleitet mich auf der Heimfahrt, auf der ich (da es ja erst Sonntagmorgen ist) noch in aller Ruhe einen Freund in Hamburg besuche. Wieder einmal hat sich das Hörnerfest als sehenswerte Veranstaltung erwiesen, die man in dieser Form natürlich immer wieder gerne besucht.

Mittwoch, 9. Februar 2011, 09:44

Frauenquote und Selbstbetrug

In einem Blog-Eintrag von PickiHH zum leidigen Thema "Frauenquote" mußte ich heute Morgen wieder einmal das alte Märchen vom "Männersprech" lesen, welches angeblich in Führungsetagen ("Teppichetagen") von Unternehmen vorherrschen würde. Wie bitte? "Männersprech"? Was bitte soll das sein? Das Gelaber in den oberen "Teppichetagen" ist für Männer, die nicht schon von Beginn an dazugehören, genauso unverständlich wie für Frauen. Es ist sowohl ein Selbstbetrug als auch eine falsche Schuldzuweisung, dies als Frau auf die Geschlechterrolle zurückzuführen. Ohnehin sind die Unterschiede in den Denkweisen zwischen Individuen oft deutlich stärker als die, die man zwischen "den Geschlechtern" zu sehen versucht.

Ich hatte im Laufe meiner Karriere bisher oft genug mit Frauen in leitenden Positionen zu tun, die die Feinheiten des "Teppichsprech" mindestens genauso gut beherrschten wie ihre männlichen Kollegen, meist sogar besser. Gerade wenn es um betriebsinterne Intrigen und um Pöstchenschieberei und vor allem um Pöstchenverhinderei geht, stehen Frauen in diesen Etagen den Männern in nichts nach, sondern haben ihnen zumeist sogar noch etwas voraus, da sie eben nicht die beschriebene "Rücksicht" gegenüber dem vermeintlich "schwächeren" Geschlecht eingeimpft bekommen haben und dadurch einen letzten Endes entscheidenden Wettbewerbsvorteil haben.

Frauen in Führungspositionen verhalten sich oft wesentlich härter und rücksichtsloser als Männer. Dies darauf zurückzuführen, daß sie den Aufstieg nur dadurch geschafft haben könnten, daß sie versucht hätten, "männlicher als die Männer" zu sein, halte ich für zu kurz gefaßt. Mir scheint für dieses Verhalten umgekehrt viel eher die Motivation ausschlaggebend zu sein, "es den Kerlen mal so richtig zu zeigen", was jedoch von den angeblichen, klassischen "weiblichen" Verhaltensweisen (Verständnis, Sachbezogenheit, Partnerschaftlichkeit und so weiter) weit entfernt ist.

In einer solchen Welt ist eine Frauenquote nun allerdings völlig fehl am Platze. Frauen, die nur durch eine Quote befördert werden und dann auf Augenhöhe mit solchen weiblichen Führungskräften zu tun hätten, die den Aufstieg bereits vor ihnen aus anderen Gründen geschafft haben, würden in der direkten Konfrontation sang- und klanglos untergehen. Genau wie übrigens auch männliche Kollegen, die nicht durch ihre Eignung für das Stahlbad der "Teppichetage", sondern durch andere Faktoren wie z. B. fachliche Qualifikation den Segen (oder Fluch?) einer Beförderung erfahren haben.

Dienstag, 28. September 2010, 12:48

Das Märchen vom reichen Apotheker

Heute mußte ich wieder einmal in einem Piraten-Blog die Behauptung lesen, daß die Bundesregierung "den Apothekern reichliche Geldgeschenke gemacht" hätte. Wie üblich wurde diese Behauptung durch keinerlei Quellen belegt - was der Autorin wohl auch schwerfallen dürfte, da sie völlig aus der Luft gegriffen ist. Aber an Apothekern darf man ja schon traditionell ungestraft sein Mütchen kühlen, da sie (im Gegensatz zu Ärzten, Krankenkassen und der Pharma-Industrie) keine ernstzunehmende Lobby haben, die sich gegen derartige Angriffe wehren könnte.

Wann und wo hat die aktuelle Bundesregierung (oder eine ihrer Vorgänger-Regierungen gleich welcher politischen Ausrichtung) denn bitteschön den Apothekern irgendwelche "Geldgeschenke" gemacht? Allein die Vorstellung ist absurd! Durch die Auswirkungen der zahlreichen sogenannten Gesundheitsreformen der letzten Jahrzehnte ist es heute praktisch nicht mehr möglich, eine Apotheke wirtschaftlich zu betreiben. Und auch über Jahrzehnte gut eingeführte Betriebe mit hohem Stammkundenpotential kann man nicht einmal mehr verkaufen, sondern allenfalls nur noch verschenken.

Die einzige Möglichkeit, sich als Apotheker noch über Wasser zu halten, besteht darin, Personal rauszuwerfen, damit für noch mehr Arbeitslose zu sorgen und sich als Inhaber selbst 55 bis 60 Stunden pro Woche hinter den Ladentisch zu stellen. Hinzu kommen noch die aufgrund immer neuer gesetzlicher Bestimmungen immer umfangreicheren Verwaltungstätigkeiten, die natürlich nicht während des täglichen Betriebes erledigt werden können, sondern nach Feierabend erledigt werden müssen.

Dazu kommt die vom Gesetzgeber geförderte neue Konkurrenz durch nationale und internationale Großunternehmen, die zwar alle Vorteile einer großangelegten Logistik und für einen kleinen Mittelständler vollkommen unerschwinglicher Online-Shop-Systeme und Vertriebskanäle nutzen kann, aber im Gegenzug von keiner der für die einzelne kleine Apotheke vor Ort geltenden, belastenden Verpflichtungen betroffen ist. (Beispiel: Bauliche Auflagen für "Beratungszimmer", Labor in jeder Apotheke etc.).

Die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Gewinnspannen für die Apotheken sind unter Normalbedingungen bereits extrem knapp bemessen. Sie betragen gerade einmal 3 Prozent, zuzüglich eines preisunabhängigen Festbetrages, der kaum die Lagerkosten deckt. Zum Vergleich: Das Outdoor-Sportgeschäft gegenüber nimmt Artikel mit weniger als 50% Gewinnspanne gar nicht erst auf Lager. Wenn diese geringen Erträge dann auch noch durch immer absurdere Rabattverpflichtungen beschnitten werden, kann wohl kaum von irgendwelchen "Geldgeschenken" die Rede sein.

Verkauft eine Apotheke beispielsweise in einem Jahr 10 Grippeimpfungen, muß den Krankenkassen ein Rabatt für eine Zehnerpackung eingeräumt werden, selbst wenn Rezepte dafür nur über Monate kleckerweise aufgelaufen sind und somit der Kauf und die Einlagerung einer Zehnerpackung betriebswirtschaftlicher Unsinn gewesen wären. Hat man daher zehnmal jeweils eine einzelne Dosis bestellt, frißt der Zwangs-Rabatt für die fiktive Großpackung den erzielten Gewinn mehr als auf. Legt man sich aber eine Zehnerpackung hin und wird davon nur 9 Spritzen los, macht man ebenfalls ein Minus.

Der normale Einzelhandel (z. B. der Discounter-Lebensmittelmarkt an der Ecke) kann solche betriebswirtschaftlichen Risiken durch freie Preisgestaltung mit selbst kalkulierten Spannen abfangen. Eine Apotheke ist durch die staatliche Preisbindung dazu nicht in der Lage. Und dies ist nur eines von zahlreichen Beispielen, die das Führen einer Apotheke heutzutage zu einem betriebswirtschaftlichen Vabanquespiel macht. Wo hier die so oft zitierten "Geldgeschenke" sein sollen, ist mir schleierhaft. Es sei denn, man betrachtet es bereits als Privileg, für seine Arbeit überhaupt noch bezahlt zu werden.

Donnerstag, 21. Januar 2010, 16:14

Mobilität macht einsam

Vermutlich erzähle ich niemandem etwas Neues, wenn ich hier feststelle, daß unsere moderne, "globalisierte", auf Mobilität und Flexibilität (natürlich nur des Arbeitnehmers, nicht des Arbeitgebers) ausgelegte Welt nicht gerade familienfreundlich ist. Bereits vor ungefähr 15 Jahren, also zu Anfang meiner beruflichen Laufbahn, konnte ich dies mit Abscheu in der hauseigenen Zeitung des Arbeitsamtes feststellen. Damals war diese Behörde nicht nur ein Amt, sondern hieß auch noch so, wohingegen sie heute ja mit der Umbenennung in "Agentur" den Schritt in die Moderne offenbar vollständig vollzogen zu haben glaubt und deshalb angesichts veränderter Realitäten nur noch die Hände in den Schoß legt. Aber das ist ein anderes Thema.

In einem langen Artikel befaßte sich das Käseblatt des Arbeitsamtes mit dem Thema Mobilität und damit, was man in diesem Zusammenhang von einem gesellschaftlich tragfähigen Arbeitnehmer erwarten dürfe. Man könnte die Kernaussage des Textes in etwa folgendermaßen zusammenfassen: Mobilität ist in der Wirtschaft das höchste Gut, und wer sich als potentieller Arbeitnehmer diesem nicht bedingungslos unterordnet, ist selber schuld, wenn er keinen Job bekommt, und gehört im Grunde genommen dafür bestraft. Diese Aussage wurde mit zwei gegensätzlichen Beispielen belegt, die ich an dieser Stelle kurz in Erinnerung rufen möchte.

Arbeitnehmer 1 - das Negativbeispiel - hatte in seiner Heimatstadt (irgendwo im Raum Ostfriesland) geheiratet, zwei Kinder in die Welt gesetzt und für seine Familie ein Haus gebaut. Eines Tages verlor er seinen Job, weil die Firma wegglobalisiert wurde. Aufgrund seiner "mangelnden Bereitschaft" zur Mobilität (d. h. entweder das Haus verkaufen und wegziehen oder sich für den größten Teil des Jahres von der Familie trennen) war dieser Mann für das Arbeitsamt nicht vermittelbar. Dieses Verhalten wurde in dem Artikel ziemlich verteufelt und als in der modernen Arbeitswelt nicht mehr tragbar bezeichnet. Irgendwann wurde der Mann dann aber offenbar geläutert, ließ sich vom Amt irgendwo nach Süddeutschland vermitteln und sah seine Familie fortan nur noch bestenfalls jedes zweite Wochenende.

Arbeitnehmer 2 - das Positivbeispiel - stammte auch irgendwo aus dem Norden, lebte seit Jahren in einer festen Beziehung und hatte eigentlich auch vor, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Arbeitslos geworden, ging er sofort auf den Vorschlag ein, beruflich nach Stuttgart zu wechseln. Vom Arbeitsamt wurde dieses mobile Verhalten in den höchsten Tönen gelobt. Irgendwo ganz am Rande wurde meiner Erinnerung nach noch erwähnt, daß seine Partnerschaft diesen Ortswechsel nicht überstanden hat, weil die Frau (sicherlich auch vom Arbeitsamt belobigt) ihren bestehenden Job in Hamburg nicht aufgeben konnte oder wollte. Aber vielleicht haben die beiden ja inzwischen neue Partner gefunden. Jedenfalls bis zum nächsten mobilitätsbedingten Umzug.

Der Zynismus dieser Aussagen des Amtes hat mich damals geärgert und ärgert mich bis heute. Einerseits wird von Politikern aller Parteien immer wieder lauthals behauptet, daß man "die Familien fördern" wolle, weil sich mit derartigen Plattitüden offenbar leicht Wählerstimmen fangen lassen. Andererseits verkündet der Staat in Form seiner Ämter, daß Partnerschaft und Familie zurückzustehen haben und ggf. aufzugeben sind, wenn der von der allmächtigen, "globalisierten" Wirtschaft vorgegebene Mobilitätszwang seinen Vorrang beansprucht. Woraufhin man sich nicht wundern darf, daß heutzutage niemand, der aktiv am Arbeitsleben teilnimmt, noch Kinder in die Welt setzen möchte. In einen derartigen Szenario kann auch die höchste Akademikerinnenwurfprämie nichts mehr helfen.

In der neueren Zeit ist noch hinzugekommen, daß selbst das Aufrechterhalten von Fernbeziehungen vermutlich schon sehr bald nicht mehr mit den Anforderungen der modernen Gesellschaft kompatibel sein wird, da ja das Autofahren und überhaupt jede Form des privaten Individualverkehrs künftig wegen des fortschreitenden Klimawandels nicht mehr hinnehmbar ist. (Geschäftlich ist das natürlich etwas völlig Anderes, im Beruf ist Mobilität natürlich ganz toll und hat selbstverständlich Vorrang vor dem Klima!) Und das einstige Volks-Verkehrsmittel Bahn kann und will sich sowieso bald niemand mehr leisten. Einmal abgesehen davon, daß man abseits der drei oder vier prestigeträchtig ausgebauten Hauptstrecken mit der Bahn kaum mehr in annehmbarer Zeit irgendwo hinkommt.

Ich habe erst kürzlich im Zuge der Bewerbung um verschiedene Projektausschreibungen aus dem In- und Ausland festgestellt, daß es sowohl billiger als auch schneller ist, z. B. vom Ruhrgebiet für die Arbeitswoche mit dem Flugzeug nach London zu pendeln als mit der Bahn nach Nürnberg oder München. Aber das Fliegen ist natürlich ebenfalls unter Umweltgesichtspunkten gesellschaftlich nicht mehr akzeptabel. (Zumindest, solange es billig ist, denn bei teuren Flügen ist natürlich wieder der Beitrag zum Bruttosozialprodukt und zu den Steuereinnahmen wichtiger als das Klima.) Somit bleibt wohl als einziges gesellschaftlich sanktioniertes Mittel der Kontaktpflege mit dem Partner oder der Partnerin nur noch die Nutzung von Medien wie Telefon oder Internet - aber dabei bloß nichts "Ungehöriges" sagen, schließlich wird man ja zur eigenen "Sicherheit" bestens überwacht!

Denken wir dieses Szenario einmal konsequent weiter, so kann die Schlußfolgerung daraus nur lauten, daß im Sinne der perfekten Anpassung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin an die Bedingungen der globalisierten Wirtschaft arbeitende Menschen keine Familien oder Partnerschaften mehr haben dürfen. Neben dem Wegfall der zuvor genannten, potentiellen Einschränkungen der Mobilität ergeben sich daraus auch noch weitere Vorteile für die Wirtschaft. Wer keine Familie hat, hat damit automatisch mehr Zeit und kann damit auch mehr leisten. Vor allem kann ein solcher Arbeitnehmer jederzeit reichlich Überstunden machen, ohne daß man sich mit dem lästigen Ballast irgendwelcher völlig antiquierter Rücksichtnahmen auf Kinder oder sonstige Angehörige herumschlagen müßte.

Zwischenmenschliche Beziehungen sind in einer solchen totalen Leistungsgesellschaft nur dann von Bedeutung, wenn sie meßbare Wertschöpfung generieren. Umgekehrt kann man bestehende zwischenmenschliche Beziehungen in der Leistungsgesellschaft nur mittels Generierung von Wertschöpfung aufrechterhalten. Also beispielsweise mit den bereits erwähnten (natürlich teuren) Reisen oder aber mit der selbstverständlich kostenpflichtigen Nutzung immer weiter hochgezüchteter Kommunikationsmittel - von Internet und Video-Telefon bis hin zu Cybersex-Anzügen und Gedankenübertragung, die gar nicht mehr so weit in das Reich der Science Fiction gehören, wie man gemeinhin bis vor kurzem noch gedacht hätte.

Nun ist aber dem Menschen an sich eine gewisse Tendenz zu sozialen Kontakten und vor allem zu einer Partnerschaft nicht abzusprechen. Und da diese Tatsache durchaus eine nicht zu verachtende wirtschaftliche Komponente darstellt - man denke nur an die Aufwendungen für das Werben um einen potentiellen Partner oder um Geschenke zur Aufrechterhaltung dieser Partnerschaft - lohnt es sich vom rein betriebswirtschaftlichen Standpunkt, auch diesem Phänomen in der globalisierten Mobilitätsgesellschaft in angemessener Weise zu begegnen. Die konsequenteste Möglichkeit hierfür wäre, die Menschen dazu zu bringen, die amerikanische Hire-and-fire-Mentalität einfach auch auf das Privatleben zu übertragen und ständig den Partner zu wechseln.

Natürlich müßten für die Durchsetzung dieses Prinzips entsprechende Anreize und die geeigneten gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Zunächst einmal muß die öffentliche Wahrnehmung der Prioritäten des globalisierten Lebens konsequent der gesellschaftlichen Realität angepaßt werden. Das wichtigste Element und somit die Grundlage stellt natürlich die optimale Ausbeutung der Arbeitskraft des Menschen dar. Ausgehend von dieser Prämisse ist dieser zunächst einmal wirksam in möglichst großer Nähe seiner Arbeitsstelle anzusiedeln. Außerdem trägt die Wohnung als unbestreitbar größter ständiger privater Ausgabenfaktor einen erheblichen Beitrag zur Wirtschaftsleistung bei. Somit ist der Faktor Wohnung als erstes und insbesondere deutlich vor dem Faktor Partnerschaft anzugehen.

Bereits heutzutage ist bei modernen, hochmobilen Menschen ein deutlicher Trend dazu zu beobachten, für die oftmals relativ kurze Dauer ihrer beruflichen Stationen gleich vollmöblierte Wohnungen anzumieten (natürlich zu deutlich höheren Preisen). Diese ebenso interessante wie praktische Entwicklung könnten fortschrittliche Arbeitgeber auch dazu nutzen, durch die Einrichtung speziell angepaßter Wohnungen entweder Büroräume einzusparen oder zumindest die Erbringung einer optimalen Arbeitsleistung durch die Gestaltung der Wohnumstände ihrer "Human Resources" zu gewährleisten. Beispielsweise könnten dadurch unerwünschte Ablenkungen minimiert werden.

Natürlich wäre es auf diese Weise auch möglich, das Risiko von Ausfallzeiten etwa durch Krankheiten oder durch Unfälle beim Sport oder im Zuge anderer unkontrollierbarer Freizeitbeschäftigungen dadurch zu minimieren, daß man dafür sorgt, daß der Mensch aus purer Bequemlichkeit erst gar nicht mehr vor die Tür geht - selbstverständlich mit Ausnahme des täglichen Weges zur Arbeit. Ein volkswirtschaftlich begrüßenswerter Nebeneffekt derartiger Maßnahmen wäre eine deutliche Verringerung von Kosten für die Krankenkassen. Außerdem lassen sich durch das Schaffen einheitlicher Standards für wertschöpfungsoptimiertes Wohnen die Produktionskosten für Möbel, Apparate, Dekor und sonstige Einrichtungsgegenstände deutlich reduzieren, während sich gleichzeitig durch die unbestreitbaren funktionalen Vorteile in der öffentlichen Meinung ein höherer Endverkaufspreis und vor allem höhere Mieten durchsetzen ließen.

Ist dieses Szenario erst einmal geschaffen, kann in einem nächsten Schritt dann das Problem der Partnerschaft angegangen werden. Selbstverständlich sind dabei die hier bereits genannten, ohne Zweifel vorrangigen Umstände zu berücksichtigen. Daß bei einem derartigen optimierten Zuschneiden der Lebensumgebung die Aufrechterhaltung einer etwa schon vor einem berufsbedingten Umzug bestehenden Partnerschaft nicht ins Konzept paßt, dürfte auf der Hand liegen. Wie weiter oben bereits erwähnt, besorgt sich der moderne, globalisierte Mensch am besten an jedem neuen Arbeitsort einen neuen Partner bzw. eine neue Partnerin.

Natürlich muß die neue Partnerin immer zur Wohnungseinrichtung passen. Vor allem, wenn man (wie ausgeführt) stets vollmöblierte und wertschöpfungsgemäß optimierte, moderne Wohnungen mietet. Es wäre ja auch katastrophal, wenn sich beispielsweise die Haarfarbe der Partnerin mit der Farbe der Tapete oder der Ledersessel beißen würde. Das könnte den gesamten Eindruck der vorgegebenen Wohnung ruinieren und somit zu einer ernsthaften Störung des inneren Gleichgewichtes des Arbeitnehmers führen, durch die seine Arbeitsleistung nachhaltig beeinträchtigt werden könnte. Also muß die Einhaltung gewisser Vorgaben selbstverständlich beachtet werden.

An dieser Stelle der Überlegungen tut sich die scheinbar berechtigte Frage auf, ob man - falls man beim Auszug die Wohnung renovieren muß - die dazu passende Partnerin auch gleich mit renovieren müßte? Die Antwort darauf ist jedoch relativ einfach: Bei einer Wohnung, die man weniger als 2 Jahre bezieht, ist man grundsätzlich noch nicht renovierungspflichtig. Da in Zukunft die meisten Arbeitsverhältnisse ohnehin kürzer als 2 Jahre bestehen bleiben werden, entfällt bei einem sofortigen erneuten Umzug nach dem Wechsel in ein anderes Projekt die Renovierungspflicht für die Wohnung und damit natürlich auch für die dazu passend ausgewählte Partnerin.

Wenn man als perfekt globalisierter Mensch also jedes Jahr Job, Wohnung und Partner wechselt, braucht man sich also um nichts mehr zu kümmern. Prima, oder? Natürlich könnte man jetzt die Frage stellen, ob in diesem Zusammenhang die eingangs erwähnte Wertschöpfung, die sich aus dem Faktor Partnerschaft ergibt, noch in gleichem Maße zum Tragen käme, oder ob sich dieser Teil des menschlichen Lebens eventuell unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr lohnen würde. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß diverse Arten von früher üblichen, zwischenmenschlichen Zuwendungen in solchen Partnerschaften nicht mehr länger relevant sein dürften.

Wenn man seine allfälligen Jobwechsel zeitlich halbwegs geschickt plant, kann man sich in derartigen, globalisierten Beziehungen eventuell sogar sämtliche Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke sparen. Dies wäre natürlich ein herber Schlag für die Wirtschaft, der auch durch einen (ggf. künstlich verstärkten) Trend zur Aufwertung der künftig immer häufigeren betrieblichen Ein- und Ausstandsfeiern nicht vollständig kompensiert werden könnte. Diesem Problem könnte man nötigenfalls durch gesetzliche Regelungen entgegenwirken, die beispielsweise die Auflösung einer bestehenden Partnerschaft erst nach mindestens einem gemeinsam absolvierten Weihnachtsfest erlauben, um somit der Wirtschaft einen angemessenen kommerziellen Ausgleich für die eventuellen Ausfälle zu gewährleisten.

Von der volkswirtschaftlichen Seite her betrachtet, läßt sich diesem Szenario noch eine vielversprechende andere Komponente hinzufügen, die zur Generierung zusätzlicher Wertschöpfung erheblichen Ausmaßes führen würde. Wenn künftig sowieso nur die eine Hälfte der Bevölkerung noch arbeitet (woraufhin wir heutzutage ja bereits zusteuern), kann sich der Rest gegen Geld als Partner auf Zeit verdingen. Dies würde neben den zusätzlichen Steuereinnahmen auch erhebliche Erleichterungen bei der Partnersuche mit sich bringen, da diese nunmehr nicht mehr von gänzlich unberechenbaren Faktoren wie Sympathie, Liebe oder einfach nur dem zufälligen Begegnen auf der Straße, sondern von handfesten wirtschaftlichen Faktoren abhängen würde. Und der Wirtschaftszweig der Partnervermittlungen würde ebenfalls einen ungeahnten Auftrieb erleben.

In letzter Konsequenz könnte man dann vielleicht auch eine Art neues Bonus-System zur Mitarbeiter-Motivation einführen: Die Firma bezahlt dem Mitarbeiter den Partner bzw. die Partnerin - selbstverständlich leistungsbezogen. Wer kontinuierlich Bestleistungen erbringt, bekommt als Belohnung einen Luxus-Partner. Selbstverständlich nur, solange auch weiterhin entsprechende Leistungen erbracht werden oder der Mitarbeiter nicht anderweitig unangenehm auffällig wird. Sollte er den Anforderungen des Unternehmens jedoch nicht mehr gerecht werden, kann der zur Verfügung gestellte Partner oder die Partnerin selbstverständlich jederzeit durch ein einfacheres Modell ersetzt werden.

Sollte an dieser Stelle der Einwand vorgebracht werden, daß in einer Gesellschaft, die in einer solchen Weise aufgebaut wäre, die menschlichen Emotionen zu kurz kommen und der Mensch an sich innerlich verkümmern und letzten Endes trotz gekaufter Partner völlig vereinsamen würde, so ist diesem Folgendes entgegenzusetzen: Zum einen sind persönliche Emotionen (im Gegensatz zu kommerziell verwertbaren Massenphänomenen wie der Begeisterung für bestimmte Sportmannschaften, Fernsehstars oder Musik-Idole) kein nennenswerter wirtschaftlicher Faktor und somit für die moderne Gesellschaft weitgehend irrelevant.

Und was die Vereinsamung angeht, so muß der mobile, globalisierte Mensch eben damit klarkommen und sie als Preis für das Privileg begreifen, mit Arbeit Geld verdienen zu dürfen. Derartige emotionale Auswirkungen sind von dem verwendeten Humankapital natürlich billigend in Kauf nehmen und nötigenfalls mit professioneller Hilfe entweder psychologisch oder medikamentös zu behandeln. Selbstverständlich kann dies aber nur gegen eine entsprechende finanzielle Gegenleistung geschehen, die natürlich nur von denjenigen aufgebracht werden kann, deren wirtschaftliches Leistungspotential groß genug ist, um den auf Dauer den Ansprüchen der Wirtschaft zu genügen.

Anderenfalls muß sich der Mensch eben in die große Masse derjenigen einreihen, die sich bei Bedarf von anderen kaufen lassen, also zum Beispiel in den Berufsstand der bezahlten Partner auf Zeit. Wenn er oder sie hierzu nicht in der Lage ist, ist er oder sie für die moderne Gesellschaft nicht brauchbar und hat sich daher umgehend möglichst sozialverträglich selbst aus dem Leben befördern. Allerdings natürlich auf zertifiziert umweltschonende Art und Weise und vor allen Dingen so diskret wie möglich, um die Gesellschaft nicht zu verstören. Außerdem sind möglichst keine auffälligen Spuren zu hinterlassen, und der öffentlichen Ordnung halber ist vorher selbstverständlich eine entsprechende Gebühr an die dafür zuständigen, staatlichen Stellen zu entrichten.

Falls irgendjemand Maßgebliches die vorstehende Zukunftsvision als geeigneten Stoff für einen sehr düsteren Science-Fiction-Film ansehen sollte, bin ich jederzeit gerne bereit, Verhandlungen über die Filmrechte zu führen. Ich kann dieses Szenario bei Bedarf jederzeit auf Spielfilmformat ausbauen. Allen anderen empfehle ich hiermit den Film Rollerball mit James Caan aus dem Jahre 1975, der - ganz im Gegensatz zu seinem actiongeladenen, aber in puncto Sozialkritik vollkommen weichgespülten Remake aus dem Jahre 2002 - einige Auswirkungen der Globalisierung wie die totale Abhängigkeit von einigen großen Konzernen oder die planmäßige Volksverdummung in erschreckender Weise vorausgenommen hat.