"Wir allein entscheiden, was wir mit der Zeit anfangen, die uns gegeben ist." - Elbenbrosche in Edoras, eigenes Foto, 2005

Dienstag, 28. September 2010, 12:48

Das Märchen vom reichen Apotheker

Heute mußte ich wieder einmal in einem Piraten-Blog die Behauptung lesen, daß die Bundesregierung "den Apothekern reichliche Geldgeschenke gemacht" hätte. Wie üblich wurde diese Behauptung durch keinerlei Quellen belegt - was der Autorin wohl auch schwerfallen dürfte, da sie völlig aus der Luft gegriffen ist. Aber an Apothekern darf man ja schon traditionell ungestraft sein Mütchen kühlen, da sie (im Gegensatz zu Ärzten, Krankenkassen und der Pharma-Industrie) keine ernstzunehmende Lobby haben, die sich gegen derartige Angriffe wehren könnte.

Wann und wo hat die aktuelle Bundesregierung (oder eine ihrer Vorgänger-Regierungen gleich welcher politischen Ausrichtung) denn bitteschön den Apothekern irgendwelche "Geldgeschenke" gemacht? Allein die Vorstellung ist absurd! Durch die Auswirkungen der zahlreichen sogenannten Gesundheitsreformen der letzten Jahrzehnte ist es heute praktisch nicht mehr möglich, eine Apotheke wirtschaftlich zu betreiben. Und auch über Jahrzehnte gut eingeführte Betriebe mit hohem Stammkundenpotential kann man nicht einmal mehr verkaufen, sondern allenfalls nur noch verschenken.

Die einzige Möglichkeit, sich als Apotheker noch über Wasser zu halten, besteht darin, Personal rauszuwerfen, damit für noch mehr Arbeitslose zu sorgen und sich als Inhaber selbst 55 bis 60 Stunden pro Woche hinter den Ladentisch zu stellen. Hinzu kommen noch die aufgrund immer neuer gesetzlicher Bestimmungen immer umfangreicheren Verwaltungstätigkeiten, die natürlich nicht während des täglichen Betriebes erledigt werden können, sondern nach Feierabend erledigt werden müssen.

Dazu kommt die vom Gesetzgeber geförderte neue Konkurrenz durch nationale und internationale Großunternehmen, die zwar alle Vorteile einer großangelegten Logistik und für einen kleinen Mittelständler vollkommen unerschwinglicher Online-Shop-Systeme und Vertriebskanäle nutzen kann, aber im Gegenzug von keiner der für die einzelne kleine Apotheke vor Ort geltenden, belastenden Verpflichtungen betroffen ist. (Beispiel: Bauliche Auflagen für "Beratungszimmer", Labor in jeder Apotheke etc.).

Die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Gewinnspannen für die Apotheken sind unter Normalbedingungen bereits extrem knapp bemessen. Sie betragen gerade einmal 3 Prozent, zuzüglich eines preisunabhängigen Festbetrages, der kaum die Lagerkosten deckt. Zum Vergleich: Das Outdoor-Sportgeschäft gegenüber nimmt Artikel mit weniger als 50% Gewinnspanne gar nicht erst auf Lager. Wenn diese geringen Erträge dann auch noch durch immer absurdere Rabattverpflichtungen beschnitten werden, kann wohl kaum von irgendwelchen "Geldgeschenken" die Rede sein.

Verkauft eine Apotheke beispielsweise in einem Jahr 10 Grippeimpfungen, muß den Krankenkassen ein Rabatt für eine Zehnerpackung eingeräumt werden, selbst wenn Rezepte dafür nur über Monate kleckerweise aufgelaufen sind und somit der Kauf und die Einlagerung einer Zehnerpackung betriebswirtschaftlicher Unsinn gewesen wären. Hat man daher zehnmal jeweils eine einzelne Dosis bestellt, frißt der Zwangs-Rabatt für die fiktive Großpackung den erzielten Gewinn mehr als auf. Legt man sich aber eine Zehnerpackung hin und wird davon nur 9 Spritzen los, macht man ebenfalls ein Minus.

Der normale Einzelhandel (z. B. der Discounter-Lebensmittelmarkt an der Ecke) kann solche betriebswirtschaftlichen Risiken durch freie Preisgestaltung mit selbst kalkulierten Spannen abfangen. Eine Apotheke ist durch die staatliche Preisbindung dazu nicht in der Lage. Und dies ist nur eines von zahlreichen Beispielen, die das Führen einer Apotheke heutzutage zu einem betriebswirtschaftlichen Vabanquespiel macht. Wo hier die so oft zitierten "Geldgeschenke" sein sollen, ist mir schleierhaft. Es sei denn, man betrachtet es bereits als Privileg, für seine Arbeit überhaupt noch bezahlt zu werden.